Buch 2 - Merci Kamerad by Günter Hofé

Buch 2 - Merci Kamerad by Günter Hofé

Autor:Günter Hofé [Hofé, Günter]
Die sprache: deu
Format: epub


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Der Obergefreite Seehase war bereits viermal aus dem Abteilungsbereich nach Narbonne und zurück gefahren und hatte allerlei Nützliches transportiert, wie Oberleutnant Eiselt meinte. Seehase jedoch schätzte das gesamte Vorhaben vorsichtig als groben Unfug ein, wo immer er auftauchte.

Oberleutnant Naumann, den er soeben gebracht hatte, war mit der Führung der Abteilung während der Abwesenheit Altdörfers beauftragt; er Überwachte derzeit das Verladen seiner eigenen Batterie, fluchte über die lahmen Hunde, die infolge süßen Nichtstuns alles verlernt hätten, und war ebenso durstig wie seine Männer.

Der Obergefreite suchte ein Ruheplätzchen, fand einen winklig angelegten Bretterstapel neben dem Wiegehäuschen, steuerte seinen Wagen dahinter und somit aus aller Leute Gesichtsfeld. Er war der Ansicht, daß viel zuviel Auto gefahren werde, daß er dringend die eigene Situation bedenken müsse und im übrigen die beiden von Leutnant Thiel überlassenen Flaschen süßen und leicht geschwefelten Weißweins vor möglicher Kampfeinwirkung zu bewahren habe. Außerdem war es nicht schlechthin heiß, es war höllisch heiß. Seehase entfernte den ersten Korken und trank zwei Drittel des lauwarmen Getränks mit halbem Genuß, als nehme er abgestandenes Selterswasser zu sich.

Es konnte sich nur um Stunden handeln, dann rollte auch sein Wagen auf einer Lore, gesichert durch beiderseits der Räder angenagelte Holzklötze, und nahm Kurs Invasionsfront. Seehase war überzeugt, daß auch dieses neue militärische Zwischenspiel mit einer Niederlage endete. Und dann? Irgendwann wird die Frage endgültig und danach? lauten, dachte er, warf die nun geleerte Flasche aus dem Fahrzeug und schob seine Mütze auf den Hinterkopf damit Gesicht und Mützenschild einen günstigen Winkel zur sengenden Sonne bildeten. Danach würden diejenigen nicht mehr an den Schalthebeln stehen, die sich ihm im März dreiunddreißig als Repräsentanten der sogenannten Machtübernahme vorgestellt hatten.

Er sah diesen SA-Scharführer mit dem Durchschnittsgesicht noch deutlich vor sich. Ein Blatt Papier in der Hand, von dem er ablas: »Seehase Erwin, Berlin N fünfundsechzig, Schulzendorfer Straße fünfundzwanzig. Jahrgang zwölf. Ungelernter Arbeiter. Jetzt Kraftfahrer. Jaja, du Kommuneschwein, das alles wird dein Steckbrief, falls du jemals hier rauskommen solltest. Einssiebzig groß. Wasserblaue Augen. Achtzig Kilo schwer - wird sich schnell geben. Blond wie Stroh. Und die beliebten besonderen Kennzeichen: Kopfgröße sechzig!« Dann lachte er dröhnend, wurde immer wieder von diesem nahezu hysterischen Gelächter geschüttelt.

Das war im Keller des Columbus-Hauses auf der Nordseite des Potsdamer Platzes zum Tiergarten hin, wo sich die SA eingenistet hatte. Und es war noch vor dem Schädelbruch. Der wiederum war die Folge eines unergiebigen Verhörs. »Sprich mal, aus welchem Kietz du kommst!« Da hatte Seehase erzählt, daß er 1918 bis 1926 in die evangelische Volksschule am Friedrichshain gegangen sei. Vater am Isonzo verschollen, ausgezeichnet mit Kaiser Wilhelms Eisernem Kreuz. Mutter nähte für einen Zwischenmeister, der dabei fett wurde. Erwin mußte mit zehn Jahren schon Groschen verdienen. Trotz aller Krisenvorboten hatte er später das Glück, als Handlanger bei Borsig in Tegel anzukommen, und schuftete, um Mutter im Monat hundert Mark beisteuern zu können. Zweiunddreißig hieß es stempeln, und Erwin demonstrierte hinter Schalmeien gegen Arbeitslosigkeit. Ja, dabei sei es auch zu Auseinandersetzungen mit der SA gekommen, was man ohnehin längst wisse.

Nach dieser Aussage mußte das Verhör unterbrochen werden, bis er wieder zu sich kam.



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